Durch Firmen wie AirBnB und Uber ist die Sharing Economy in Veruf geraten. Ist der digitale Traum vom nachhaltigen und gerechten Teilen deshalb ausgeträumt? Ein genossenschaftlich-solidarischer Ansatz, Kooperativismus genannt, zeigt, dass es auch anders geht. Die Kuratorin und Autorin Ela Kagel ist seit vielen Jahren selbst in dieser Szene aktiv und schaut sich in diesem Beitrag aktuelle Ansätze an.
Vieles von dem, was wir heute als Peer-to-Peer-Economy oder auch Commons bezeichnen, habe ich als Kind in meinem süddeutschen Heimatdorf kennengelernt. Die Menschen dort waren fast alles Landwirte, zumindest in Teilzeit. Der einzige Reichtum, den sie besaßen, war Land. Und das wurde während des gesamten Jahres für Ackerbau, Obst-und Gemüseanbau oder Viehzucht genutzt.
Fast täglich wurden mein Bruder und ich auf Liefertour zu den Nachbarn geschickt, ausgestattet mit Tomatenkörbchen, Eiern und was wir eben sonst so übrig hatten. An jeder Haustür wurden dann besagter Überschuss gegen andere Tauschgüter eingewechselt: Gurken, Kartoffeln, Äpfel, was auch immer gerade Saison hatte. Als wir dann nach einiger Zeit wieder zuhause ankamen, war der Abendbrottisch deutlich vielfältiger geworden – und das ganz ohne Geld!
Sharing Economy, damals
Im gemeinsamen Backhaus wurde Samstags das Brot für die Woche gebacken. Alle Frauen und Kinder kamen zusammen, buken Kuchen und Brot und gegen Abend wurde an Ort und Stelle gepicknickt. Im gemeinsamen Kühlhaus wurden alle Ernte-Erträge in mannshohen Tiefkühltruhen gelagert und diejenigen, die Milchvieh hatten, brachten ihre Milch Tag für Tag ins Milchhaus.
Aus heutiger Sicht klingt das alles verdammt romantisch – fast wie aus dem Werbeprospekt einer Gemeinschaftsgarten-Community. Für uns war dieses Leben nicht romantisch, sondern ganz normal. Dennoch war es nicht nachhaltig: mit der Zeit wollte sich niemand mehr die Hände in der Landwirtschaft schmutzig machen.
Die Kinder wurden angehalten, zu studieren und sich ein „Gschäft“ bei Daimler zu suchen. Die EU-weite Subventionierung der Landwirtschaft tat dann noch ihr übriges. Als ich mich im frühen Erwachsenenalter dann in eine andere Stadt zum Studium aufmachte, war das Backhaus bereits ein vergessener Ort und aus dem Milchhaus eine Edeka-Filiale geworden.
Der Wert und Preis der Dinge
Dennoch hat mich die Frage nach dem Wert und Preis der Dinge mein ganzes Leben lang beschäftigt. Gerade auch, als ich in die Berliner Kreativ-und Kulturszene eingetaucht bin, war ich erstaunt, wie unkonkret die Vorstellungen über den Wert der Kulturproduktion oft waren. Mit dem Free Culture Incubator, den ich auf dem Transmediale-Festival 2010 startete, begann eine 18-monatige Forschungsphase zum Kulturunternehmen der Zukunft.
Im Winter 2011 gründete ich mit meinen beiden Partnern Zsolt und David den SUPERMARKT, einen Ort für kollaborative Ökonomie und digitale Kultur. Es dauerte auch nicht lang, da wurde der SUPERMARKT zu einer Anlaufstelle für Leute aus der Sharing Economy-Szene und den digitalen Commons. Der SUPERMARKT hostet auch bis heute regelmäßige Community-Meetings und beherbergt Freiberufler und Aktivisten.
Interessant war für mich, dass viele der Sharing-Engagierten von ähnlichen Szenarien träumten, wie ich sie als Kind erlebt hatte. Und bei all der Begeisterung für humane Alternativen zur freien Marktwirtschaft frage ich mich bis heute, wie man die oben beschriebene Kultur des Teilens so nachhaltig gestalten kann, dass sie nicht nur ein, zwei Jahrzehnte dauert. Und vor allem beschäftigt mich, wie man Offenheit, Transparenz und Fairness als einen fortdauernden, gemeinsamen Standard etabliert.
Verfolgt man die aktuelle Presselage zur Sharing Economy fallen durchgehend und ausschließlich die Namen zweier amerikanischer Unternehmen, die durch besonders ausbeuterische Geschäftspraktiken dazu beitragen haben, dass die an und für sich gute Idee des Teilens von Ressourcen, Produkten und Services in gesellschaftlichen Misskredit geraten ist.
Plattform-Kapitalismus
Natürlich lässt sich die Kritik auch auf andere Anbieter ausweiten, die etwa so schöne kulturelle Praktiken wie Abendessen bei Freunden oder das Teilen der Kosten einer Autofahrt kommerzialisieren. Da, wo man früher ganz individuell und im privaten Rahmen ein passendes Arrangement zur Verteilung der Lasten bzw. zur Anerkennung der Leistungen gefunden hat, sitzt heute oftmals ein digitaler Vermittler, der jede dieser Tauschhandlungen ökonomisch standardisiert und für jede Transaktion Prozente kassiert.
Während die beiden Tauschpartner nun für ihre Leistungen kompensiert werden, wird der Plattformbetreiber im Lauf der Zeit reich. Es ist ja so simpel: einfach nur die Kontakte vermitteln und bei jeder verliehenen Bohrmaschine macht es klingelingeling. Sascha Lobo hat für dieses Geschäftsverhalten in einem SPON-Artikel aus dem Jahr 2014 den Begriff des Plattform-Kapitalismus geprägt.
Dabei ginge es ja ganz anders: was wäre, wenn sich die Nutzer von bestimmten Diensten, etwa junge Eltern, die eine Kinderbetreuung benötigen, im Kollektiv zusammenschließen, sich selbst über das Internet organisieren, die Verantwortlichkeiten, die Unkosten sowie etwaige Gewinne teilen?
Plattform-Kooperativismus
Trebor Scholz, Professor der Kultur-und Medienwissenschaften an der New School in New York, würde so ein Szenario als Plattform-Kooperativismus bezeichnen. Im November 2015 organisierte er die Konferenz Platform Cooperativism: Internet. Ownership. Democracy in New York und legte damit den Grundstein für eine internationale Diskussion rund um Selbstorganisation und den Begriff des Kooperativismus als Gegenentwurf zu ausbeuterischen wirtschaftlichen Praktiken.
Der Kooperativismus geht im Kern von einem genossenschaftlichen, solidarischen Modell aus, das allerdings durch das Internet noch wirkmächtiger und sichtbarer wird und damit neue Formen der Teilhabe ermöglicht. Trebor Scholz sieht darin eine Chance für menschenwürdige Arbeitsbedingungen, persönliche Freiheit, neue Besitzverhältnisse und faire Arbeitsbedingungen.
Eine „menschliche Alternative zur freien Marktwirtschaft“. Eines der wichtigsten Ergebnisse der PlatformCoop-Konferenz in New York ist vermutlich die Erkenntnis, dass solche digitalen Kooperativen ihre Wirkung nicht nur nach innen entfalten, sondern im Lauf der Zeit auch ein politisches Gewicht bekommen können.
Warum ist Uber eigentlich keine Genossenschaft?
Nehmen wir das Beispiel des amerikanischen Fahrdienstes Uber: Warum ist Uber eigentlich keine Genossenschaft? Das Unternehmen wäre geradezu prädestiniert dafür.
Mike Konczal beschreibt in seinem Artikel Socialize Uber, warum: Fahrer aus aller Welt könnten sich zusammenschließen, ein Stück Software, das allen Genossen gehört, hilft ihnen bei der Organisation ihrer Fahrdienste und am Ende profitieren alle gemeinsam vom Gewinn. Es klingt so einfach. Und doch musste erst ein Venture Capital-Unternehmen kommen, um diese Software zu finanzieren und zu bauen – und letzten Endes die Profite einzustreichen.
Warum eigentlich? Vermutlich weil die meisten selbstorganisierten Gruppierungen, NGOs und eben auch die traditionellen Genossenschaften keinen ausreichenden Bezug zu neuen Technologien haben. Und dies ist eben die Voraussetzung, das Herzstück all dieser disruptiven Sharing Economy-Modelle: das, was Nic Wistreich in einem Artikel als den „digital boss“ bezeichnet – die Maschine, die kontrolliert, den Takt vorgibt und immer noch mehr Profite extrahiert.
In diesem Artikel denkt der Autor auch laut darüber nach, wie eine solche digitale Plattform genossenschaftlich organisiert sein könnte: auf Basis einer Software, die allen gehört, die anhand von Feedback-Loops von Kunden und Fahrern lernen kann, die auf Basis eines Open Source Modells transparente Strukturen bereitstellt und die gesundheitlichen Bedürfnisse der Fahrer berücksichtigt – neben vielen weiteren Faktoren.
Das umständliche Genossenschaftsrecht
Werfen wir einmal einen Blick nach Deutschland: hier erleben wir seit einigen Jahren eine Renaissance der Genossenschaften. Menschen schließen sich in Baugenossenschaften zusammen, gründen Freizeitprojekte in großen Communities oder bauen Energiegenossenschaften auf. Dies kann Ausdruck eines gesellschaftlichen Wunsches nach kollektiver Verantwortung, sozialer Gemeinschaft, Solidarität und ökonomischer Stabilität sein.
Doch das Genossenschaftsrecht ist umständlich, schwer zu durchschauen und nicht einfach so zu realisieren. Da braucht es einen Finanzplan, Vorstand, Aufsichtsrat, Generalversammlungen und vieles mehr, das etlichen Interessenten von Anfang an die Lust an der Genossenschaftsgründung verdirbt.
Dennoch gibt es immer mehr Plattformen, die diesen Prozess durchlaufen haben und immer mehr Mitglieder sowie öffentliche Aufmerksamkeit bekommen: Zum Beispiel Fairmondo, die selbsternannte „faire Alternative zu eBay“, oder die Genossenschaft Bürgerenergie Berlin, die gemeinsam das Stromnetz der Stadt erwerben und verwalten will.
Selbst Vertreter von Disziplinen, die einst als Individualisten prächtig über die Runden kamen, suchen nun den Schulterschluss mit Kollegen, wie man etwa an der derzeitigen Gründung der ersten digitalen Freelancer-Genossenschaft CZY WRK (sprich: Cozy Work) erkennen kann.
Lieber Netzwerk anstatt Plattform?
Die Heinrich Böll-Stiftung organisierte gemeinsam mit Thomas Dönnebrink und mir Anfang März 2016 einen Abend zum Thema Plattform Kooperativismus mit Michel Bauwens, dem Gründer der P2P-Foundation im SUPERMARKT Berlin. Diese Veranstaltung wurde von vielen Menschen besucht, die Alternativen zum gängigen Wirtschaftssystem suchen und teilweise auch schon begonnen haben, ihre Ideen in die Realität zu überführen.
Es gab interessante Diskussionen darüber, wie und mit welchen Tools & Methoden sich Interessensgruppen organisieren sollten. Wiederholt wurde der „Plattform“-Begriff und die damit verbundene Zentralisierung kritisiert; einige wünschen sich eher dezentrale Organisationsformen wie etwa Netzwerke.
Hier gibt es einen ausführlichen Bericht zu diesem Treffen. Darin findet sich auch der Input von Michel Bauwens, der die Schaffung eines offenen Wertesystems als Gegensatz zu dem von ihm definierten netarchical capitalism hervorhob. Über das Teilen von Wissen und transparente, offene Systeme, in denen gemeinsam Werte erzeugt werden, können Platform Coops so gebaut werden, dass sie für ihre Mitglieder einen langfristigen Nutzen haben.
Anm. d. Red.: Die Autorin des Beitrags organisiert zusammen mit Thomas Dönnebrink und Andreas Arnold regelmäßig lokale #Platform Coop-Meetings in Berlin. Mehr zum Thema in dem BG-Jahresschwerpunkt UN|COMMONS oder in dem BG-Dossier Netz-Giganten.
Dieser Artikel ist ursprünglich erschienen auf http://berlinergazette.de/kooperativismus/.