Du musst die Kuh schon selber ficken

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ramix

Selbstmarketing als Überlebensstrategie – Ein Gastbeitrag von Gregor Sedlag.

Das Programm des SUPERMARKT Berlin bleibt in Sortimentsbreite und -tiefe konkurrenzlos. Er ist Ausstellungs, Konferenz-, Vortragsraum, Café und Coworkingspace. Und das SUPERMARKT-Team schlägt den Bogen zwischen der klassischen White-Cube-Galerienwelt und den weniger spezifizierten Formaten der Berliner „Creative Industries“ irgendwo zwischen IT und Web, DIY und Design, Marketing und Werbung, Mode, Musik und Tanz.

Die Namenswahl SUPERMARKT scheint nicht allein dem Standort, einem ehemaligen Supermarkt in der Brunnenstraße, geschuldet zu sein. Denn der SUPERMARKT hat den Blick für den Markt, für die ökonomischen Aspekte der typisch prekären, selbstausbeuterischen Kunst- und Kulturblase Berlins. Zwei vermutlich zufällig zeitlich miteinander korrelierende SUPERMARKT-Veranstaltungen der letzten Woche machen dies anschaulich.

Da ist einmal die Vernissage und Ausstellung „RAMIX – Raban Ruddigkeit Remixed“ (bis 28. September) des heute in Berlin ansässigen, schon zu DDR-Zeiten als Fanzine-Macher („Messitsch“) tätigen Gestalters, Werbers und Verlegers (¶ Pilcrow Print & Publishing) Raban Ruddigkeit. Und da ist am 4. September zum anderen die Buchpräsentation von Ina Roß‘ „Wie überlebe ich als KünstlerIn?“ gewesen, die in einem Panel der interessanteren Sorte (moderiert von Georg Kasch) ihre „Werkzeugkiste für alle, die sich selbst vermarkten wollen“ gegenüber Gesche Piening, freischaffende Schauspielerin und Regisseurin, André Batz, Ansprechpartner Berlin & Brandenburg des Kompetenzzentrums Kultur-und Kreativwirtschaft des Bundes sowie Peter Haas, einem Dokumentarfilmer, verteidigen musste.

Ina Roß‘ „Werkzeugkiste“ bündelt die Erfahrungen aus dem Unterricht an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin, wo die Autorin „Organisatorische Praxis und Selbstmarketing“ lehrt. Und so lebens- und praxisnah ihr Ratgeber für einzelne auch sein mag, der strukturelle Misstand der insbesondere in Berlin zu fassenden Angebotsschwemme an „Kreativkapital“ stellt die Dominanz der kapitalistischer Verwertungslogik geradezu aus. Das Überangebot an künstlerischer und kreativer Produktion lässt die Preise ins Bodenlose der „Kostenloskultur“ absinken.

Ein Ratgeber allein hilft da nicht. Die marktwirtschaftlich radikale Konsequenz, die Peter Haas, der zusammen mit Silvia Holzinger das Buch „Kann man davon leben?“ geschrieben hat, für sich gezogen hat, markiert den Höhepunkt der Diskussion: Peter Haas hat das Dokumentarfilmemachen aufgegeben. „Es gibt keinen Markt für Dokumentarfilme!“ Oder erst wieder durch seine radikale Verknappung?

An dieser Stelle wurde auch die begriffliche Ungenauigkeit in der Benennung von Kunst- und Kulturschaffenden offenbar, denn natürlich gibt es einen Markt für Dokumentarfilm, aber als Kunstinstallationen in der Blackboxes der White-Cube-Galerien und Ausstellungen. Gleichzeitig versenden die TV-Sender dramaturgisch aufbereitetes oder gescriptetetes Dokumentarmaterial als „Reality-Soaps“. Die nicht weiter thematisierte Vermengung der spezifischen Nöte der „brotlosen“ freien Künste mit denen der angewandten Designer, Fotographen, Illustratoren und Webgestalter, für die durchaus ein auch über Berlin hinaus zugänglicher internationalerMarkt existiert, verhinderte schließlich die angemessene Behandlung des Themas Selbstvermarktung.

Denn Peter Haas‘ fast verzweifelt aggressive Resignation angesichts der zerstörerischen Selbstausbeutung ist als Analyse einer gerade in der kritischen, unabhängigen Kunst- und Kulturwelt überhand nehmenden Hyperkapitalisierung des Individuums genauso treffend, wie Ina Roß‘ „Werkzeugkiste“ Absolventen der Visuellen Kommunikation helfen mag, den für sich geeigneten Fokus im Feld der „Creative Industries“ zu finden.

Und wie schwer dies doch ist, konnten alle Besucher und Teilnehmer der Buchvorstellung an den Exponaten der Ausstellung von Raban Ruddigkeits „Ramix“ ermessen, der Kollegen, Freunde und Wegbegleiter wie Lea Brousse, Emilia Forstreuter, Tiziana Jill Beck, Alexander Branczyk, Mario Lombardo, Lars Harmsen, Boris Bonev, Michael Schirner, Ica Watermelon, Boris Hoppek, ME Raabenstein, Gustavo Stecher und Rocket & Wink gebeten hatte, anlässlich der Veröffentlichung seiner Monografie „Rapport – Raban Ruddigkeit 1988-2013« bei ¶ Pilcrow Print & Publishing“ die dort gezeigten Arbeiten einer Neuinterpretation zu unterziehen.

Aus diesen Remixes wurde „Ramixe“ – und damit auch gleich ein Hinweis wie radikal Selbstmarketing sein kann, wenn man unter die Werber gekommen ist. Alle ausgestellten Arbeiten sind gleichermaßen originell, wie sie andererseits als Hommage an den Gestalter Ruddigkeit auch dessen Handschrift erkennen lassen – die Auseinandersetzung mit den typomanen Grundthemen seiner Arbeiten und die akribische Art des „less is more“. Raban Ruddigkeits gelungenste Arbeiten verblüffen immer wieder durch ihren maximalen Minimalismus.

Wer in der Selbstvermarktung so herausfordernd ist wie er, „Designer aus aller Welt + ganz Berlin ein[zu]laden, [s]eine Arbeiten zu remixen“, der darf sich nicht beklagen, wenn dann der Beitrag des Werbepapstes der 1980er Jahre, Michael Schirner („schreIBMaschinen“), so explizit ausfällt – Schirner platziert einen großmaßstäblich erigierten Penis mit zu entrollendem Kondom aus seiner AIDS-Aufklärungskampagne über alle Druckfahnen des Rudiggkeitschen „Rapports“.

Raban Ruddigkeits Leitspruch in Sachen Selbstmarketing wird als Sprechblasen-Ramix von Boris Hoppek auch über dem Panel von „Wie überlebe ich als KünstlerIn?“ zu Lesen gewesen sein. Es lautet, Hermann van Veen zitierend, so treffend: „Du musst die Kuh schon selber ficken. Keine Kuh lädt dich ein.“

Gregor Sedlag ist Illustrator, freier Publizist und Teilzeit-Kurator.

Bild: Raban Ruddigkeit

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