Orchideenfach und Pilzbefall

Orchideenfach und Pilzbefall

Ein Blogpost über „Von WikiLeaks zu SnowdenGate“ von Gregor Sedlag.

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Mit den andauernden Snowden-Enthüllungen um den NSA-Komplex erlebt die kritische Öffentlichkeit in der westlichen Welt einen vergleichbar schaurigen Moment der Vermessung eines gewaltigen Parasiten wie einst Forscher im Malheur National Forest. Im Jahre 2000 wurde dort in Oregon für ein rätselhaftes Waldsterben eine erstaunliche Ursache ausgemacht: Ein als größtes Lebewesen der Welt durch die Schlagzeilen gereichtes Pilzgeflecht des Honigpilzes, auch Hallimasch genannt, hatte sich über vermutlich 2.400 Jahre über knapp 900 Hektar ausgedehnt und mit seinen braunschwarzen Rizomorphen und weißen Fächermyzelien tausende von Bäumen infiltriert, ausgenommen und abgetötet. An der Oberfläche ist das Gesamtaggregat, der Hallimaschkomplex, zwischen September und Dezember durch seine honiggelben Fruchtkörper – die Pilze – zu erkennen, die bei korrekter Zubereitung auch als Speisepilze genossen werden können.

Auch im Ökosystem der Zivilkörper scheinen sich solche geflechtartig wuchernden Untergrundorganisationen schadhaft auszubreiten. Myzelartige Netzwerke, die in der Globalisierung und Digitalisierung zu so weitgefächerten Strukturen erwachsen können, dass erst eine umfassende investigative Recherche im globalen Maßstab das Ausmaß erfassen kann. Investigativer Journalismus, der sich nicht dem Recherchegegenstand angemessen vernetzt, bleibt wenig mehr als die Rolle eines Waldspaziergängers und Pilzesuchers. Der Gesamtkomplex und seine Gefahrenpotential bleiben ihm verborgen, die Ausbeute ist vielleicht honigbunt, mal giftig, oder nahrhaft, aber von begrenzten Erkenntniswert. Das NSA-Geheimdienstaggregat von globaler Durchdringung hat das in der digital vernetzten Welt mit seinem US-territorialen Hub einen idealen Wirtskörper zur schnellen Ausbreitung und alles durchdringenden Tiefe gefunden.

Im historischen Moment der Aufdeckung, dessen wirksame Verarbeitung im schockstarren Gesellschaftskörper noch gar nicht richtig einsetzen will, kam die Einladung von iRights.info zur Gesprächsrunde am 29. September 2013 mit Gerard Ryle, Director des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) und Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen Deutschland im SUPERMARKT zur richtigen Zeit. iRights.info-Geschäftsfüherer Matthias Spielkamp führte als Moderator kenntnisreich in das Panel unter dem Titel „Von Wikileaks zu SnowdenGate“ ein.

Das Gespräch stand zwar unter dem Eindruck der aktuellen NSA-Enthüllungen, aber vermittelte noch einmal eindringlich, wie mehr und mehr journalistisch relevante Themen nur in einer dem Gegenstand angemessenen gleichartig global arbeitsteiligen Recherchearbeit überhaupt erfasst werden können. Da wurden die rechtsstaatlich ummantelten Geheimdienstmachenschaften à la NSA und GHCQ als für Journalisten wenig gefährlich eingestuft. Außerhalb akuter Kriegsberichterstattung sind es die mafiösen Strukturen aller Spielarten der Internationalen Organisierten Kriminalität – illegaler Organ-, Menschen- oder Drogenhandel samt der damit verbundenen finanziellen Hilfsdelikte wie Geldwäsche –, die insbesondere in schwachen oder korrupten Staaten die gefährlichen Feinde für investigative Journalisten sind.

Gerard Ryle gab einen Eindruck anhand einer der ersten großen Kampagnen des ICIJ, der als „Offshore-Leaks“ bekannt gewordenen Enthüllungen der Kapitalbewegungen rund um die Gründung und Verwaltung von anonymen Stiftungen in steuerparadiesischen Finanzplätzen, welch gewaltiger logistischer Aufwand zur Durchdringung der sowohl komplexen Materie als auch der großen Datenmengen betrieben werden musste, um trotz allem eine journalistisch zu verwertende „Story“ daraus zu destillieren.

In der anschließenden Debatte waren es dann wieder die mit der Snowden-Affäre aufgekommenen Fragen zu konkreten konspirativen und kryptographischen Maßnahmen, um insbesondere den staatlichen Abhörinstanzen und möglicher Gegenmaßnahmen zu entgehen. Im Gegensatz zur oftmals reflexhaft vorgebrachten Verschlüsselungsfrage als Allheilmittel, war Gerard Ryles Rat der, das ganze „low profile“ zu spielen. Da es gerade die Metadaten des Kommunikationsverhalten sind, auf die die Geheimdienste unabhängig vom Einsatz kryptographischer Camouflage zugreifen können, gilt es einen besonders sorgfältigen und ein auch ein wenig altmodischer Einsatz konspirativer Umgangsformen und Techniken zu verwenden – wie zum Beispiel der Einsatz unverdächtiger Kuriere mit ganz normalen, natürlich verschlüsselten Datenträgern wie USB-Sticks.

So riskant investigativer Journalismus auch sein mag, so bleibt er doch die prestigeträchtige Königsdisziplin des gesamten Gewerbes. Und die technischen Instrumente wie GPG-Verschlüsselung und TOR bieten nach wie vor relativ guten Schutz für Journalisten und vor allem Informanten, die in ihrem jeweiligen Umfeld unerkannt bleiben müssen.

Auch hier gibt es Analogien zur Natur: So gewaltig und durchdringend die Pilzgeflechte sich manchmal aufgrund fehlender Nachkommenschaft ausbreiten können, auch sie sind von Epiparasiten nicht gefeit. Die Pflanzen zweier blattgrünloser Orchideengattungen in Asien bzw. Australien lassen sich von Hallimaschen Nährstoffe zuführen, die diese wiederum ihren Wirtspflanzen entzogen haben. Whistleblowing im Sinne Edward Snowdens sollte nicht länger als Orchideenfach im Kampf um Aufklärung und bessere Verhältnisse in dieser Welt gelten.

Gregor Sedlag ist Illustrator, freier Publizist und Teilzeit-Kurator.

Bild: Flickr CC LicenseEin Blogpost über Von Wikileaks zu SnowdenGate
Von Gregor Sedlag

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